Der Vortrag widmet sich der vielfach wiederholten Behauptung, Werner Heisenberg habe in der entscheidenden Phase der Entwicklung seiner Quantenmechanik im Sommer 1925 auf Helgoland nicht nur wissenschaftliche, sondern auch literarisch-philosophische Inspiration aus der Lektüre Goethes geschöpft. Im Zentrum steht die kritische Überprüfung dieses Narrativs, das Heisenberg selbst in seinen späten Schriften nahelegt. Was ist dran am sogenannten „Mythos Helgoland“, insbesondere in Bezug auf Goethe? Und welche epistemologischen und sprachphilosophischen Voraussetzungen wären notwendig, um eine solche Verbindung zwischen literarischem Denken und quantenphysikalischer Theoriebildung plausibel zu machen? Ausgehend von zeitgenössischen Quellen und autobiografischen Texten wird die historische Einbettung dieses Mythos rekonstruiert und auf seine Tragfähigkeit geprüft.
Zentral ist die Frage, warum ein von Kontingenz und Subjekt-Objekt-Wechselwirkung geprägtes Weltbild für Heisenberg vorstellbar und akzeptabel war, während es für andere bedeutende Physiker und Physikerinnen der Zeit als unnatürlich oder unhaltbar erschien. Ausgehend von den Thesen Mara Bellers, Paul Formans, Michael Bitbols sowie Überlegungen im Anschluss an Robert Brandoms holistischen Sprachbegriff wird sondiert, inwieweit Heisenbergs Offenheit für kontingente Weltverhältnisse theoretisch auch aus einer philosophischen und literarischen Sozialisation resultieren könnte und ob sich diese Thesen durch Dokumente der Zeit belegen lassen.
Vortrag von Yvonne Hütter-Almerigi im Rahmen der Vortragsreihe „Werner Heisenberg in Leipzig“, Eintritt frei.
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