Fünf Fragen an Clemens Christian Poetzsch
Dein Leipzig und guter Kaffee?
„Das Café 7 Shots ist einer meiner Favoriten. Ich bin auch sehr gerne in der Milchbar Pinguin. Nicht zuletzt wegen der schönen Neon-Leuchtreklame an der Fassade.“
Dein Leipzig und Fahrrad?
„Ich spaziere lieber. Manchmal laufe ich ziellos herum, zum Beispiel in Richtung Eisenbahnstraße. Oder hier im Zentrum. Dann freue ich mich, wenn ich mich verlaufe und irgendwo lande, wo ich noch nie war.“
Dein Leipzig und Kultur?
„Ich liebe das Horns Erben. Da habe ich oft Konzerte gespielt. Toller Betreiber, gemütlicher Ort, unten kann man gemütlich essen, trinken und chillen, oben hat man dieses kleine Kino mit einer schönen Bühne. Und übrigens auch einen ganz tollen Flügel. Das ist mein Lieblingskulturort.“
Dein Leipzig und Architektur?
„Gestern bin ich wieder am Ring-Café vorbeigelaufen – einerseits wirkt es total brutal und überdimensioniert – andererseits hat es durch die gebogene Form und dadurch, dass so viele Menschen drin wohnen, etwas Poetisches.“
Und Deine Lieblingsmusik?
„Gerade entdecke ich die Alben der Songwriterin Julia Holter für mich. Verrückte, intensive, facettenreiche Musik - wirklich unglaublich.“
Aus nichts was bauen
Wie jeder Junge wollte auch Clemens als kleines Kind einfach nur Fußball spielen und rumhängen. Er kommt aus einer Musikerfamilie und sein Vater hat Clemens immer gesagt, dass er mit Klavier einfach weitermachen soll. „Damals hätte ich damit aufgehört. Freitags war meine Klavierstunde bei einer strengen russischen Lehrerin - immer musste die Technik stimmen, die Handhaltung musste perfekt sein. Für mich als kleines Kind war das immer anstrengend. Heute bin ich ihnen dafür dankbar.“ Und eines Tages hat Clemens von seinem Papa ein Geschenk bekommen – ein Buch mit Jazzstandards.
Irgendwann hat er in einem kleinen Restaurant um die Ecke gefragt, ob er dort Klavier spielen könne. „Am Ende habe ich dort mit meinen 10 Jahren jeden Sonntag für 25 Mark Barmusik gespielt. Das hat großen Spaß gemacht. Ich hatte immer meine dicken Notenbücher dabei, da ich zunächst nur mit Noten spielen und nicht improvisieren konnte.“ Das Klavier stand an der Drehtür, aus der die Kellner immer mit dem Essen rauskamen. Die Noten sind ihm durch den Windzug immer wieder runtergefallen, daher musste er sie immer wieder aufheben und von Vorn beginnen. „Das war ganz peinlich,“ lacht er, „irgendwann habe ich dann angefangen, die Noten liegen zu lassen und mir etwas auszudenken.“ Genau an diesem Punkt hat Clemens entdeckt, wie sehr ihm das Improvisieren gefällt und dass die Leute auf seine Musik reagieren. „Irgendwann dachte ich, dass ich so etwas mein ganzes Leben lang machen will, denn so kann ich mir meine eigene Welt bauen.“
Neon Leipzig
Eines Abends läuft Clemens auf dem Weg nach Hause durch die nächtliche Südvorstadt. Er wohnte noch nicht lang hier und atmete die Leipziger Atmosphäre tagtäglich beim Spazierengehen ein. Er hielt kurz bei der Feinkost an, heute einem Kulturhotspot Leipzigs, wo damals Bier gebraut wurde und Konserven produziert und gelagert wurden. Tag und Nacht leuchtet auf der Fassade ein buntes Neonlicht – die Löffelfamilie. Clemens schaute gern auf die schöne Leuchtreklame. Sie gefiel ihm. Kurz danach entstand Neon Leipzig, ein Teil seines Albums „Remember Tomorrow“. „In Leipzig sieht man an manchen Ecken der Stadt die Neon-Leuchtreklamen von früher. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Das hat etwas von früher und von heute, es leuchtet, es sieht alt aber gleichzeitig neu aus. Wenn ich an Leipzig denke, dann sind meine ersten Assoziationen diese alten Neon-Leuchtreklamen.“
Mittlerweile ist Clemens ein professioneller Komponist. Als er mit dem Komponieren angefangen hat, lief er mit einem alten Diktiergerät mit einer großen Kassette drin umher. Er hat sich ganz viele von diesen Kassetten gekauft und sie zu Hause abgespielt, denn damals konnte er sie noch nicht so richtig in Noten übersetzen. Als er irgendwann zu viele hatte, beschäftigte er sich damit, wie man die Kompositionen eigentlich aufschreibt. „Der Moment der Inspiration ist manchmal sehr heilig. Man kann es nicht genau reproduzieren, wenn man diesen Moment nur auf einer Kassette hat. Du brauchst schon eine Art von Schriftstück dazu.“ Stück für Stück hat Clemens gelernt, wie man beim Komponieren die Noten richtig aufschreibt. Daraufhin folgte die erste richtige Band und sein Fachstudium.
Und wie war es mit Neon Leipzig? „Das hat mir ein bestimmtes Gefühl gegeben. Kein konkreter Gedanke, den man umsetzen will, sondern ein Gefühl, das man nicht beschreiben kann. Aber welches man in Musik konservieren will. Manchmal reicht das auch.“ An die Neonreklame an der Feinkost erinnert er sich: „Das war einfach so ein Ort, wo ich sehr gerne war und das wollte ich in Musik umwandeln. Ich habe ganz lange Verschiedenes probiert, bis ich dann das Gefühl in der Musik gefunden habe, was ich genau an diesem Ort verspürt hatte.“
Von der Kassette bis zu Rammstein und Filmmusik
Inzwischen spielt Clemens mit Orchestern, veröffentlichte mehrere Soloalben, arrangierte die Musik von Rammstein neu, und komponierte ebenso die Musik für den erfolgreichen tschechischen FilmNationalstraße. „Es war schon immer mein Traum, Filmmusik direkt zu komponieren oder dass meine eigene Musik für einen Film verwendet wird.“ Aber natürlich ist es unheimlich schwer, in die Szene reinzukommen. „Man kann sich für so etwas nicht bewerben und ein Bewerbungsschreiben schicken. Das muss zu einem kommen.“
Es wurden Kontakte geknüpft, auch mit Produzenten. Dann wurden Clemens und der Gitarrist Reentko Dirks gefragt, ob sie die Filmmusik für „Nationalstraße“ machen wollen. Sie haben den Regisseur Štěpán Altrichter getroffen, der ihre Idee auch ganz toll fand. Sie lasen das Buch von Jaroslav Rudiš, bekamen das Drehbuch und hatten dann große Freiheit, wie die Musik klingen wird. „Es war eine inspirierte Arbeit. Es hat großen Spaß gemacht.“ Die Musik ist bei Kritikern sehr gut angekommen, vor allem in Deutschland. „Guter erster Film“, lacht Clemens.
Zu Tschechien hat Clemens noch eine weitere Beziehung: 2019 ist er durch mehrere tschechische Städte im Rahmen seiner "East Europe Tour" gereist und hat seine Musik gespielt. In diesem Jahr hat er es noch geschafft, ein Open-Air Konzert in dem Prager Kulturhotspot „Stalin“ zu geben. Auch die Zugreise zwischen Sachsen und Tschechien genießt er immer sehr - nicht zuletzt aufgrund der tschechischen Köstlichkeiten im Boardrestaurant.
Leipzig – die perfekte Stadt zum Leben
Und wie findet Clemens Leipzig als Ort zum Leben? - „Ein sehr entspannter Ort, um anzukommen. Dadurch, dass ich auch viel zu Konzerten unterwegs bin, ist es für mich ganz wichtig, einen Ort zu haben, an dem ich mich richtig wohl fühle. Und wo ich das Gefühl habe, dass die Musiker-Szene miteinander verwoben ist, dass der Blick nach vorne gerichtet ist. Durch das Internationale entsteht hier das Gefühl viel schneller. Ständig entstehen hier neue Sachen – ob das jetzt ein neues Café oder ein musikalisches Projekt ist. Es ist ein gutes Gefühl, an einem solchen Ort zu leben, der sich bewegt, dir aber trotzdem Ruhe gibt und dich nicht überfällt.“
Tauch auch du in die Musik von Clemens ein, die frei ist wie die Stadt, die ihn inspiriert, kontemplativ, aber auch erfrischend wie die leuchtenden Leipziger Neon-Reklamen. Am besten zu Hause mit einem guten Plattenspieler oder beispielsweise nächstes Jahr im April bei einem Konzert im Horns Erben.