© Konrad Röhringer

NABYTEQUE heißt Möbel – Oder „Wie aus einer Leidenschaft ein Beruf wurde“

Halabala, Pavouk oder Jitona – noch nie gehört? Dann wird es höchste Zeit! Wir sind heute zu Gast bei Björn und Kristopher, den Mitgründern von Nabyteque (tschechisch nábytek), einer Vintage-Möbelwerkstatt, die vor kurzem in Plagwitz eröffnet hat. Dort werden alte Möbelstücke, die überwiegend aus der ehemaligen Tschechoslowakei kommen, restauriert und warten dann auf ein neues Zuhause. Nicht selten sind Schätze von Halabala, spinnenartige Pavouk-Tische oder Möbelstücke aus den Jitona-Reihen darunter. Im Gespräch verraten uns die Jungs mehr von ihrem Projekt.

Die Entstehung von Nabyteque

Die Räumlichkeiten aus Rohbeton erfüllt eine angenehme Musik. Direkt hinter der Eingangstür stapeln sich neu angekommene Möbel in Regalen bis unter die Decke. Hellerau-Möbel, Karl-Marx-Stadt-Aufkleber, Lampen aus der ehemaligen Tschechoslowakei, Sessel. Direkt daneben ist Paul, gelernter Sporttherapeut, gerade fleißig am Schleifen. Rechts daneben ein Showroom und die Lackiererei mit ihrem unverwechselbaren Geruch.

Wie entstand die Idee zu eurem Möbelbusiness Nabyteque?

Kris: Ursprünglich kennen wir uns aus Dresden, wo wir zusammen an Musikprojekten gearbeitet haben. Dann sind wir beide zum Studium nach Leipzig gezogen und hatten in unseren Kreisen viel Zeit damit zugebracht, Ideen auszutauschen und nach neuen Projekten zu suchen. Wir wollten unabhängig sein und wussten gleichzeitig, dass einem trotz Masterstudium die Jobs nicht zulaufen werden. Die Idee zu Nabyteque entstand komplett unerwartet. Wir kommen beide gar nicht aus dem Bereich, haben aber 2017 bei einem Gespräch auf einer Party entdeckt, dass wir beide ein Faible für Möbel aus den 60er Jahren haben. Wir haben uns ausgetauscht und plötzlich war die Grundidee geboren: Alte Möbel zu restaurieren.

Und dann habt ihr eure Leidenschaft zum Beruf gemacht?

Kris: Das Projekt hat alles auf den Kopf gestellt. Wir haben unser Studium abgebrochen, ein kleines Team aus Amateur-Handwerkern zusammengestellt und eine Halle in Markkleeberg angemietet. Wir hatten riesiges Glück, dass direkt nebenan eine kleine Tischlerei war. Dort hat Jochen gearbeitet – ein klassischer DDR-Tischler Ende 60 - der den Beruf von seinem Vater gelernt hat. Er kannte die Möbel der 60er & 70er Jahre und konnte alle unsere Fragen beantworten. Er war ein toller Mentor.

Wie kamt ihr auf die tschechoslowakischen Möbelstücke?

Kris: Ich bin auf der agraauf Möbelstücke aufmerksam geworden, die mir so gar nicht Deutsch vorkamen. Ich kannte sie nicht aus dem Repertoire gängiger DDR-Modelle. Zeulenroda, Möbelwerke Oberlausitz – da wiederholt sich viel. Aber auf der agra, das war eine Neuentdeckung: Alles ein bisschen konstruktivistischer, geometrischer, zackiger – ich wurde richtig neugierig. Auch die Furnierkontraste: Ein Schrank mit einer hellen Eichen- und daneben einer Nussbaumtür oder der Korpus nussbaumfurniert und die Tür dann aus Eiche. Das gab es bei den DDR-Möbeln kaum. Dieses Spielerische mit den Farben – wie bei den klassischen Jiroutek-Modellen – ganz klar nicht DDR! Dann habe ich mich damit befasst und wir fingen an, tschechische Möbel ins Programm aufzunehmen.

Und dann seid ihr einfach nach Tschechien gefahren und habt alte Möbel abgeholt?

Björn: Wir waren sowieso auf einem Festival in der Nähe von Pilsen unterwegs und sind auf dem Rückweg einem Händler vorbeigefahren. Er hatte eine riesige Halle voller Möbel, wir fühlten uns wie Kinder im Spielzeugladen: Unbekannte, außergewöhnliche und eindrucksvolle Stücke so weit das Auge reicht. So sind wir Stück für Stück an neue Serien herangekommen und haben ständig neue Möbel entdeckt.

Kris: Der Reiz und Enthusiasmus, der mit einer solchen Entdeckung einhergeht - das ist der Antrieb hinter der ganzen Sache.

Wie sieht so ein Tag aus, an dem ihr neue Möbel abholt?

Kris: Wir haben unsere festen Routen, holen die Sachen ab und fahren meistens innerhalb eines Tages wieder zurück. Schade, dass es immer so stressig und gehetzt ist, aber derzeit geht es leider nicht anders.

Björn: Wir sind schon in nahezu allen Ecken Tschechiens gewesen, meist aber mit straffem Zeitplan. Es wäre wirklich schön, wenn man sich in Ruhe eine Woche Zeit nehmen könnte, um sich am bestimmten Orten genauer umzuschauen.

Merkt ihr Unterschiede zwischen der tschechischen und deutschen Wahrnehmung von Ästhetik?

Björn: In Tschechien ist es sehr populär, alles supermodern zu machen. Retro ist dort eher eine Nische. In Deutschland ist es dieser Trend in der Mitte der Gesellschaft angekommen, aber in Tschechien steht man mehr auf „immer alles neu und frisch“.

Kris: Ich frage mich wirklich immer, wieso das nicht in der kulturhistorischen Aufarbeitung präsenter ist und warum die Sachen von den Tschechen teilweise nicht wertgeschätzt werden. Tschechien kann sich – vor allem in Sachen Möbeldesign und Handwerkskunst des 20. Jahrhunderts – durchaus mit den eher bekannten Größen messen.

Gibt es ein bestimmtes Modell, das besonders gut ankommt?

Björn: Jitona. Die U-300-Serie.

Kris: Vor allem der Kleiderschrank und die Kommode mit der Glasplatte.

Findet man bei euch auch DDR-Möbel?

Kris: Wenn, dann nur bestimmte Serien oder Programme, die wir selbst mögen und von denen wir wissen, dass sie sich gut restaurieren lassen.

Björn: Zum Beispiel bestimmte Möbelserien der Deutschen Werkstätten Hellerau.

Gibt es eine Abholgeschichte, die man nicht so schnell vergisst?

Kris: Es gab schon alles, was man sich vorstellen könnte. Die Verrückteste war tatsächlich die Abholung beim ehemaligen tschechoslowakischen Verteidigungsminister Martin Dzúr. Sein Haus in Prag 6 musste komplett leergeräumt werden. Wir wollten eigentlich nur das Sofa abholen, aber dann hieß es, wir dürfen uns nehmen, was wir wollen.

Ihr rettet die tschechische Kultur!

Björn: Es gibt eigentlich kein Ostblockland, das mit der Tschechoslowakei vergleichbar ist. Die waren die Koryphäen, was Möbel angeht. Vor allem die Ursprünge des Funktionalismus in Tschechien und die Berührungspunkte zum Bauhaus sind so spannend! Die ganze westliche Welt redet über das Bauhaus und zur gleichen Zeit hat man in der kleinen Tschechoslowakei ebenfalls Architektur- und Designgeschichte geschrieben. Halabala, Slezák, Gottwald… Es wurden die schönsten Möbel entworfen und produziert. Die 1930er sind zudem im dortigen Stadtbild sehr präsent: Apotheken, Reihenhäuser, die Innenarchitektur der Häuser – ich könnte stundenlang darüber reden. Und alles ist noch erhalten und nicht tot saniert. Geschichte, die in den Alltag integriert ist.

Kris: Einige Betriebe hatten auch offizielle Lizenzen für die Herstellung von Entwürfen von Mart Stam, Marcel Breuer und Mies Van Der Rohe. Die genaue Modellbezeichnung variierte je nach Hersteller, „Originale“ sind die tschechisch produzierten Versionen dennoch. Man muss dazu erwähnen, dass diese Entwürfe eine regelrechte Flut an Nachahmungen sowie eigenen Stahlrohrkonzepten inspirierte. Wann wird überhaupt mal über tschechisches Design im Ausland berichtet? Das ist schon so überfällig! Es ist ein bisschen so, als tritt die Begeisterung für so etwas erst dann ein, wenn es die Sachen nicht mehr gibt oder sie tatsächlich abgerissen werden.

Fünf Fragen an Kris und Björn

Umso besser, dass wir dank Nabyteque einen Teil dieses grandiosen Designs in unseren Alltag integrieren können. Zum Schluss noch unsere klassischen fünf #MeinLeipzig-Fragen:

Euer Leipzig und Kaffee?

Kris: Auf Empfehlung eines guten Freundes hin will ich unbedingt mal ins 7 Shots. In letzter Zeit waren die Möglichkeiten eines Café-Besuchs ja sehr beschränkt, aber ich weiß noch, wie es sich anfühlt.

Björn: Ich bin gar nicht so der Kaffeetyp, aber wenn ich mir etwas aussuchen müsste, dann das Ma’hud in der Alten Straße.

Kris: … und in Sachen Kuchen kann ich noch das Zack Zack empfehlen. Da gehe ich jetzt nahezu jeden Sonntag hin.

Euer Leipzig und Fahrrad?

Kris: Die einzige Strecke, die ich eigentlich fahre, ist zur Arbeit und zurück. Im Sommer dann ein bisschen weiter weg. Ich habe mir vor Jahren ein Diamant-Bahnrad aus den 70ern zusammengebaut, war in Dresden Fahrradkurier, aber seitdem wir das Projekt haben, sind wir fast 100 Prozent nur hier.

Björn: Ich fahre bald wieder Fahrrad, gestern habe ich mir eins gekauft. Natürlich Vintage.

Euer Leipzig und Architektur?

Kris: Ich habe, gerade was Wohnhäuser betrifft, einen klaren Favoriten: die Scharnhorststraße 2. Ein unglaublich düsterer, vielseitiger und komplett unsanierter Jugendstilbau.

Björn: Im Karree der Brandvorwerkstraße, Ecke Steinstraße – das sind meine Lieblingshäuser.

Euer Leipzig und Kultur?

Kris: Offiziell? ;-) UT Connewitz.

Björn: Bei mir auch. Und inoffizielle Sachen, die im Osten passieren.

Welche Möbel findet man bei euch zu Hause?

Kris: Nabyteque ist da Fluch und Segen zugleich. Theoretisch könnte ich alles, was hier steht, auch mit nach Hause nehmen – und mache das natürlich nicht selten. Das ist der Segen. Der Fluch ist, dass immer neue Sachen reinkommen und ich mir dann sage „Ach, das gefällt mir eigentlich viel besser als das, was ich erst vor zwei Monaten mitgenommen habe.“

Björn: Also bei dir steht doch mittlerweile das vierte Sofa in einem Jahr, oder?

Und bei dir Björn, so ähnlich?

Björn: Bei mir ist es das zweite ;-)

Stattet auch ihr den Jungs einen (online) Besuch ab. Ihr werdet sehen, ihr habt bestimmt schon an einem Pavouk-Tisch ein Käffchen geschlürft. Und zum Schluss noch ein kleiner Test: Was gehört in den peřiňák?

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